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Moto Guzzi Le Mans II, Modell 1979

Das alte Trampeleisen

Mehr als 45 Jahre hat sie nun auf dem Buckel. Diese Le Mans ist kein Motorrad – sie ist ein Lebewesen. Sie zittert, atmet und röchelt bis sie warm ist. Baujahr 1979, Ferrari-rot, Lafranconi-Anlage. Eine Zeitkapsel aus purem italienischem Stolz.


Der Kaltstart ist wie bei einer Dampfmaschine, erst ruppig, dann rhythmisch – mechanische Poesie.

Bremsen & Licht wie von einem Museumsstück. Technologie von gestern, aber mit Seele.
Mit dem V2-Drehmoment fährt sie im Standgas, kein modernes Motorrad kann das so.

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Heute ist meine Le Mans ein reines Schönwetter-Fahrzeug, während sie früher viel erdulden musste. Als mein einziges Fahrzeug musste sie in den Anfangsjahren jeden Tag ran, selbst im Winter.

 

Leider war diese Guzzi ein ausgesprochenes Montagsmotorrad ab Werk. In Italien wurde damals viel gestreikt und entsprechend nachlässig wurde gearbeitet, wohl auch bei Moto Guzzi.

 

Da konnte man schon mal einen Sicherungsring am Kolbenbolzen vergessen - aber hey, nachdem der wandernde Bolzen die Zylinderwand zerstört hatte, konnte der Besitzer das doch korrigieren! 

 

Ein toller Rätselspaß war auch, die Zündmarkierungen auf der Schwungscheibe an den falschen Stellen einzuschlagen. Da klingelt es fröhlich im Motor - bis zum kapitalen Motorschaden. Den Fehler findet man erst nach einer kompletten Zerlegung. Da kommt doch Freude auf!

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Autofahrer, die mir auf den Fersen waren, bekamen bei Vollgas über die Motorentlüftung eine gehörige Portion Öl auf ihre Windschutzscheibe gespritzt. Die Kurbelwelle panschte im Öl herum wie ein Kleinkind in der Badewanne. Ist doch lustig, oder? Ein Ölwannenzwischenring beendete den Badespaß.

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Rasselnde Ketten, krumme Stoßstangen für die Ventile, defekte Lichtmaschinenrotoren, Getriebeblockaden  - was soll's? Dadurch lernt man sein Motorrad doch erst so richtig kennen!

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Ein Materialfehler im Pleuel? Naja, dann reißt der eben ab und zerschlägt das Motorgehäuse. Kommt in den besten Familien vor! Das Bein hat ja nichts abgekriegt - na dann ist doch alles bestens!

 

Deshalb meinen herzlichen Dank nachträglich an die Kollegen in Mandello del Lario für diesen Mechaniker-Intensivkurs. So was kann man immer brauchen im Leben! 

Was nicht ab Werk vermurkst wurde, geschah anschließend in Deutschland.

 

Ein Kuchenblech musste als Nummernschild herhalten, so dass die nach hinten kippbare Sitzbank nicht mehr vernünftig aufgeklappt werden konnte.

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Das war und ist zwar megalästig, aber wirklich katastrophal war die vorgeschriebene deutsche Auspuffanlage. Um den grandiosen Sound zu reduzieren, hatte man einfach und billig den Querschnitt verengt. Mit dieser Maßnahme entstand aber ein kolossales Drehmomentloch zwischen 4000 und 4500 Umdrehungen, das jeden Überholvorgang und jedes Beschleunigen aus der Kurve zu einem Wagnis machte.   

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Da der gesamte Motor auf den Originalauspuff abgestimmt war, hatte ein jeder Besitzer dieser Maschine nur noch die originale Lafranconi-Anlage im Sinn. Man tauschte also oben beschriebenes Wagnis gegen ein neues Wagnis aus, denn TÜV und Polizei hatten deutlich etwas dagegen. Natürlich mussten trotzdem die Lafranconis dran.

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Einmal hielt mich eine Zivilstreife an. Der Polizist teilte mir mit, dass er keine Ausrede akzeptiere.

Er hätte privat nämlich ebenfalls eine Le Mans und kenne sich aus. So musste ich wegen diesem A... absteigen und zu Fuß weitergehen. 

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Im Land der Zertifikate wurde die Lafranconi-Anlage später übrigens legal. Dazu musste man über eine Kennzeichnung verfügen, die in den Auspuff eingeschlagen wurde. In dieser Sache konnte man sich glücklicherweise auf die italienischen Guzzisten verlassen. Seitdem war auch der TÜV kein Problem mehr.

Der Arbeitsplatz: Wunderschöne analoge Rundinstrumente, Schalter und Lämpchen - das ist was zählt!

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Was nicht zählt ist der Stromverbrauch der Uhr, welche die Batterie innerhalb von 14 Tagen komplett leersaugt, der Tacho, der zwischen 10 und 30 km/h falsch anzeigt, der Drehzahlmesser, der ebenso wie der Tacho die Position 0 nicht kennt, das Voltmeter, das komplett auf Anschlag geht, wenn man das Licht anmacht und die Anzeigelämpchen, die bei Sonnenlicht nicht mehr zu erkennen sind.

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Darum geht es ja auch gar nicht. Es soll schön sein!

Wegen dieser bunten Schalter hätte ich das Motorrad beinahe nicht gekauft. Die wurden damals nämlich in jeder Fachzeitschrift aufs Äußerste kritisiert: "Spielzeugschalter", "Murks", "brechen schon beim Hingucken ab" usw. Ich dachte, dass ich damit wahrscheinlich nur Ärger am Hals haben werde.

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Die Ironie der Geschichte ist aber, dass alles, also wirklich alles, an diesem Motorrad kaputt ging, nur eben diese Schalter nicht. Sie sehen auch heute noch aus wie neu und funktionieren immer noch tadellos.

Ein wichtiger Schritt war der Einbau einer elektronischen Zündung. Der originale mechanische Zündverteiler saß unter dem Tank und man kam nur mit schlangenartigen Tentakeln an die Kontakte. Ich weiß nicht mehr, wie oft ich in der Zeit mit der falsch markierten Schwungscheibe den Tank abgebaut und wieder drangebaut habe. Wahrscheinlich noch öfter als ich die Auspuffanlage an- und abschrauben musste.

Der Zündverteiler flog also raus und gesellte sich zu der immer größer werdenden Kiste mit alten Teilen.

Nix Ride-by-Wire! Reine Mechanik! Die beiden Gaszüge müssen senkrecht in die beiden Vergaser eingeführt werden. Allerdings wurden die Züge dafür in abenteuerlichster Weise zum Gasgriff geführt. Irgendwo klemmten sie sich früher oder später immer fest. Das hatte den äußerst unangenehmen Effekt, dass das Bewegen des Lenkers einen erheblichen Effekt auf die Drehzahl hatte.

Ein kluger Tüftler kam auf die Idee, Umlenkrollen für die Züge zu bauen. Die mussten natürlich sofort her und ich bin dem Mann bis heute noch dankbar.

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Übrigens musste man zum Gas geben mindestens Herkules sein. Mit dem Handgelenk kämpfte man gegen 2 superstarke Federn in den beiden Vergaser an. Gekürzte Federn stellten das Problem ab, damit auch Leute, die keine Extremsportler sind, länger als 20 Minuten fahren können.

Das geniale Tonti-Fahrwerk tut auch heute noch seine tollen Dienste. Das Motorrad läuft wie auf Schienen und bewegt sich absolut spurtreu durch die Kurven.

 

Die Bremsanlage ist eine Integralbremsanlage. Eine Vorderradbremse wird per Handgriff betätigt, während der Fußhebel die andere Vorderradbremse und die Hinterradbremse bedient. Das funktioniert auch heute noch prima.

 

Trotzdem sind die Bremsen von gestern: Energisches Betätigen ohne energische Bremswirkung. 

Ein völliger Konstruktionsfehler ist der Seitenständer. Wie der bedient werden soll, ist mir auch nach all den Jahren noch ein Rätsel. Im Sitzen bräuchte ich noch die zusätzliche Länge eines 2. Schienbeins, um ihn voll ausklappen zu können. 2 mächtige Federn sorgen nämlich dafür, dass er von selber wieder einklappt, wenn er nicht festgehalten wird. Auf dem Bild ist bereits die dritte Variante zu sehen, die aber ebenfalls das Geheimnis ihrer Funktion wahrt. Da der originale Anschlag für den eingeklappten Ständer durch suboptimales Design dafür sorgte, dass der Ständer ordentliche Beulen im Auspuffrohr hinterließ, kam jetzt ein Hightechgerät aus selbstgedengeltem Blech und Schlauchschelle zum Einsatz.

 

Gottseidank ist der Hauptständer mit seinem langen Ausleger einwandfrei gelungen. Draufstellen und die Guzzi bockt sich quasi von selbst auf. Der Seitenständer fährt also nur noch der Vollständigkeitshalber mit.

Die Zylinderverkleidung hat tolle Gummipolster für kleine Fahrer wie mich. Ist es kalt, liegt man da mit den Knien an und genießt die Wärme die der V2 abgibt. Ist es heiß, hält man die Knie in den Fahrtwind. In beiden Positionen hat man die Le Mans voll im Griff.

 

Lange Kerls halten von dieser Verkleidung überhaupt nichts, weil sie ihnen im Weg ist. Aber he Jungs - wenn ihr die Schenkel auf den heißen Motor legt gibt's Brandblasen!

Auf den schönen Alu-Gussrädern (damals sehr selten) sitzt jeweils ein schmales Reifchen mit einem Schlauch im Inneren. Die Reifenbreite hinten beträgt bei der Le Mans II lediglich 110 mm. (Selbst bei der Kawasaki 250 Ninja von 2010 sind es 130 mm und bei der Yamaha R1 sind 190 mm angesagt.)

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Schlechtes Kurvenverhalten? Kein Grip? Kippeliges Fahren? Von wegen! Die Reifen harmonieren perfekt mit dem Fahrwerk.

Fazit:

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Auch wenn ich meine Le Mans II auf Grund ihrer Mängel gefühlt genauso viel geschoben habe, wie ich mit ihr gefahren bin, möchte ich sie auf keinen Fall missen. Sie ist ein signifikanter Teil meines Lebens.

 

Die Maschine ist heute in ihrem Bestzustand.

Ein deutscher Ingenieur, der bei Moto Guzzi gearbeitet hat, hat sämtliche unzulässigen Bauteiltoleranzen beseitigt und sie endlich zuverlässig gemacht. Mein Bruder hat im Laufe der Jahre viele versteckte Fehler gefunden (Schwungscheibe!) und korrigiert. Ich selber habe jede Menge Lebenszeit hineingesteckt, um sie zu verbessern und optisch wieder auf Vordermann zu bringen. 

 

Sollte ich sie nicht mehr fahren können, kommt sie in mein Wohnzimmer auf ein schräges, sich drehendes und mit Scheinwerfern ausgerüstetes Podest!  

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