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Yamaha YZF R1 SP, Baujahr 2006

Legst du dich aufs Maul, bist du selber schuld.

R1 – das letzte analoge Superbike-Gefühl. Kompromisslos ehrlich.

Kein ABS, keine Traktionskontrolle, kein Ride Mode. Mechanisches Feedback pur: Man fühlt jeden Millimeter der Bremskolben, jede Lastverlagerung beim Anbremsen. Keinerlei elektronische Unterstützung.

 

Beherrschst du sie, wirst du mit chirurgischer Präzision belohnt. Kein System rettet dich – das Limit ist dein Gefühl im rechten Zeigefinger.

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Es ist genau diese Herausforderung, die mich an die R1 bindet.

Und das kam so:​

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Nach einigen Jahren Abstinenz (Beruf, Kinder usw.) wollte ich 1992 gerne wieder Motorrad fahren. Wie wäre es zur Abwechslung mal mit einer zuverlässigen Maschine statt meiner Desaster-Guzzi? Meine Wahl fiel auf die Yamaha XJ900 Baujahr 1989.

Dieses Motorrad war die Ausgeburt an Zuverlässigkeit. Beim Gebrauchtkauf habe ich eine Menge Ersatzteile mitbekommen, von denen ich in 5 Jahren kein einziges gebraucht hatte. Dank Kardan-Antrieb musste man praktisch nichts anderes mehr tun als Benzin nachzufüllen. Egal, ob du einen guten oder schlechten Tag hast, mit der XJ 900 kannst du immer fahren.

 

Gerade diese tollen Eigenschaften führten bei mir aber nach Jahren zu einer gewissen Entfremdung. Sie stand halt immer startbereit da, genauso wie ein Auto. Und statt einen Helm aufzuziehen, bin ich immer öfter ins Auto gestiegen. Als ich mich dann eines Tages dabei ertappt hatte, dass ich vor der perfekten Uhr der XJ 900 stand, um meine Armbanduhr einzustellen, war Schicht im Schacht. Dafür braucht man kein Motorrad, oder? Also ging ich zum Motorradhändler und erzählte, dass ich keine Lust mehr auf Motorradfahren hatte und die XJ 900 loswerden wollte.

 

Während er die Papiere fertig machte, sollte ich mich ein wenig auf dem Hof umsehen. Gelangweilt schlenderte ich über den Hof und blieb vor einem selten hässlichen Motorrad stehen, eine Yamaha FZR 1000 von 1990.

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Der Händler kam hinzu. Ich fragte noch: "Wer kauft denn so was hässliches?", aber er montierte bereits ein Nummernschild zur Probefahrt. Ich wollte erst nicht, aber der Händler verstand sein Handwerk und setzte mich quasi drauf. Dann zeigte er die Straße entlang und gab mir den Rat: "Diese Richtung 500 Meter geradeaus - aber nicht das Gas voll aufdrehen!" 

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Ich fuhr also los und fummelte wie gewohnt am Gas herum. Aber statt einer gummiartigen Reaktion, setzte ich einen spontanen Raketenantrieb in Gang! Die FZR drehte und drehte, ich kam gar nicht erst zum Schalten, als die 500 Meter schon zu Ende waren.

 

Bremsen!! Statt teigiger Schwabbeleien, bissen die Bremsen so zu, dass ich fast vom Sitz gerutscht wäre. Um die Kurve und es ging weiter geradeaus. Ich schaltete in den 2. Gang und mir rutschte der Magen beim gefühlt endlosen Beschleunigen runter wie im Fahrstuhl. 

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Auf der Probefahrt wurde mir ein gewaltiger persönlicher Irrtum klar: Ich konnte in Wirklichkeit gar nicht motorradfahren, ich konnte Motorräder lediglich bewegen.

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Atemlos kam ich zurück und rief dem Händler zu: "Her mit den Papieren! Die muss ich haben!"

Die FZR 1000 war eine der sportlichsten Herausforderungen meines Lebens. Ich bin nahezu jeden Tag 100 km gefahren, um mit ihr zu üben. In den 8 Jahren unseres Zusammenseins habe ich auch jede Menge über Technik gelernt. Verschiedene Auspuffe, ein Tuning-Programm u.a. mit Aufbohren auf 1100 Kubikzentimeter, etliche Kettenräder und Ritzel, schwimmende Bremsscheiben, Stahlflexleitungen und vieles mehr.

In verschieden Konfigurationen fuhr sie weit über 300 km/h und hat so manchen offenen Porsche versenkt. Das beste war aber die Beschleunigung. Trotz extremer Zahnradwahl für das Dragster-Feeling blieb das Vorderrad immer auf der Erde. Wirklich genial.

 

Als mein Bruder eines Tages mit einer R1 der ersten Generation auftauchte, wurde mir bewusst, dass sich die Fahrwerkstechnik enorm weiterentwickelt hatte. Statt einer Baumstamm-Charakteristik wie bei der FZR, flog die R1 leichtfüßig ums Eck. In der ersten Generation ging das aber zu Lasten eines furchtbar leichten Vorderrads, was gerne schon mal abhob.

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2006 kam dann die R1 SP mit Öhlins-Fahrwerk, das dieses Problem nicht kannte.

In meinen Augen war die R1 SP eine Art Wunder. Ein absolutes Hightech-Gerät in einer unglaublich schönen Ausführung. Sie wog auch nur knapp 200 kg - und das bei 189 PS. 

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Der Yamaha Händler meines Vertrauens erklärte mir, dass von dieser Maschine nur 500 Stück nach Europa geliefert würden. Sie wären die notwendige Homologation für die Zulassung der R1 bei Superbike-Rennen. Entsprechend saftig war der Preis. Eines Tages rief der Händler an und sagte, er hätte Zugriff auf eine dieser Maschinen, die sich in Spanien befände. Ich musste mich sofort entscheiden: "Take it or leave it!"

 

Ich sage natürlich sofort zu und verkaufte eifrig alles was nicht niet- und nagelfest war (leider auch die FZR, was ich nachträglich bedauere), um das Geld zusammenzukriegen.

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Als ich das erste Mal auf der R1 SP saß konnte ich praktisch nicht mehr absteigen. Es war ein unbeschreibliches Gefühl, ein Sportmotorrad zu haben, das gewaltige Kräfte entwickelte ohne brachial zu sein, das eine irre Beschleunigung hatte ohne dass das Vorderrad unkontrollierbar abhob, das in allen Belangen leichtgängig zu bedienen war und superpräzise reagierte, mit dem man über 250 km/h fahren konnte ohne heruntergeweht zu werden und das mit den Pirelli Diabolo Rosso Reifen fest in den Kurven klebte. Ich hatte so schnell Vertrauen zu dieser Maschine gefasst, dass ich schon beim Ausritt am ersten Tag 250 km gefahren bin und völlig durchnässt im Regen von Luxemburg nach Hause kam. Aber das war mir egal. Ich war absolut begeistert.

 

Aus Erfahrung mit der FRZ legte ich mir ein ebensolches Trainingsprogramm zurecht, um die Maschine maximal zu beherrschen, wie es einem Amateur nur möglich ist.

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Nach 10 glücklichen Jahren und vielen tollen Erlebnissen auf der R1 meldete sich plötzlich das Alter.

 

"Och nö, nicht schon wieder Stummellenker. Wir kündigen! Sofort.", sagten die Handgelenke. Der Rücken stimmte zu: "Ich möchte ja nicht stören, aber früher war ich mal gerade." Der Nacken: „Kopf drehen? Wie entzückend. Erinnert mich an eine Zeit, als Bewegung noch möglich war.“

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Das war eine echte Zwickmühle. Das beste Motorrad, von dem ich jemals träumen konnte - und ich wurde zu gebrechlich dafür!

Nachts fiel mir die Lösung ein: Da muss ein Superbike-Lenker drauf!

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Mit dem neuen Lenker ging es wieder ein paar Jahre gut. Dann aber fingen die verdächtigen Kandidaten wieder an zu maulen.

"Ah, die R1. Wunderbar. Ich hatte schon Angst, ich könnte mich heute entspannen.“ oder „Ich habe nichts gegen Sportmotorräder. Solange jemand anderes sie fährt.“

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Diesen Argumenten muss man sich im Alter wohl beugen (!).

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"VERKAUFEN?! Niemals!"

Sir Lancelot tritt auf: "Wir haben schon Königreiche für weniger niedergebrannt!“

 

Als ich verlangte, den Superbike-Lenker dramatisch zu erhöhen, schmiss mich der ansonsten immer freundliche Yamaha-Händler ob meines Frevels kurzerhand raus. Zur Hintertür kam ich aber wieder rein und winkte mir dem Portemonnaie.

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Jetzt wurde es wirklich massiv. Alle Züge und Kabel neu, vorübergehende Stilllegung des Motorrads, Windschild zurecht flexen und lackieren, Sitzbank polstern und einiges mehr. 

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Und jetzt mal Butter bei die Fische: Sooo schlecht sieht die Veränderung nun auch nicht aus. Die traurige Alternative wäre gewesen, das Motorrad zu verkaufen (siehe Auftritt Sir Lancelot).

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Die Veränderung hat natürlich ihren Preis. Beim harten Beschleunigen geht das Vorderrad nach oben das der R1 der ersten Generation. Aber das ist kein Problem für uns beide. Es ist ein beherrschbares Feature und macht sogar Spaß. Andere gravierende Nachteile das Fahrwerk betreffend kann ich als Amateur nicht entdecken.

 

Und naja, bei 250 km/h wird man nun halt heruntergeweht.

Der große Lenker hat 2 tolle Eigenschaften:

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1. Er ist die ergonomische Rache für den Stummellenker

  • Die Handgelenke schweigen plötzlich wie Beamte kurz vor Feierabend.

  • Der Rücken tut so, als wäre er wieder 25.

  • Der Nacken dreht sich wieder – und zwar ohne Geräusche, die an knirschenden Kies erinnern.

 

2. Platz für alles, was man am Motorrad nie brauchte

  • Fahrt zur Nordsee?
    Auf den Kompass gucken – Norden ist da oben irgendwo, wird schon passen.

  • Es muss schneller gehen?
    Navi montieren – und plötzlich weiß die R1, wo der Orthopäde wohnt

  • Heldenvideos drehen?
    Actioncam drangeklickt und Klappe: Action!

Meine R1 SP feiert mit mir jetzt das 20-Jährige ohne Sturz oder größere Probleme. Wir fahren meist ziemlich zügig, weil wir nicht unnötig viel Gummi in der Felgengegend stehen lassen wollen.

 

Es ist zweifellos das beste Motorrad, das je meinen Weg gekreuzt hat. Und meine damalige Prognose, dass diese Maschine bis zum Lebensende reicht, scheint sich zu bewahrheiten.

Fazit:

Die R1 SP hat eine erstaunliche Alterstauglichkeit wenn man bedenkt, dass sie im Grunde ein Superbike ist. Den Superbike-Charakter bemerkt man lediglich beim kurvigen Anfahren am Berg. Das Drehmoment in niedrigen Drehzahlen ist wie das eines Wieselbabys. Der Spielraum zwischen Abwürgen des Motors und kanonenartigem Landen im Straßengraben ist adrenalinerfrischend schmal.

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Ansonsten kann man durch die Stadt tuckeln, über Land pesen, am Verkehr vorbeihuschen, auf der Autobahn BMWs jagen, längere Strecken fahren und hat je nach Fahrweise eine Reichweite zwischen 220 km (meistens) bis 350 km (selten).

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Auch 20 Jahren später funktioniert noch alles perfekt wie zu Beginn. Das Motorrad ist eine wahre Qualitätsarbeit. von Yamaha. 

 

Obwohl heutige potente Motorräder technisch viel weiter entwickelt sind, liebe ich es dieses Motorrad ohne eingreifende Elektronik, weil es ehrlich direkt ist.

 

Die R1 SP kaufe ich im nächsten Leben bestimmt wieder!

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